Ezli, Özkan
Forschungsartikel (Zeitschrift) | Peer reviewedIn dem vorliegenden Beitrag wird eine affektive und narrativ strukturelle Verfasstheit aktueller Migrationsliteratur aufgezeigt, die im Unterschied zu Film und Literatur vorheriger Dekaden nicht auf emanzipativen, sondern auf ressentimentalen Dynamiken baut. In beiden Formen spielt die Erfahrung von Ohnmacht und der unterschiedliche Umgang mit ihr eine zentrale Rolle. Wenn Regisseure, Dokumentarfilmer oder Autoren in den 1970er und 1980er Jahren mit ihren Werken der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufzeigen, welch kulturelle Ohnmacht eingewanderte Menschen ohne Sprachkenntnisse, Bildung und mitunter ohne berufliche Ausbildung durchleben, deuten sie zugleich aber auch individuelle und soziale Wege aus dieser Ohnmacht an. Letztere Wege beschreitet die zweite Generation in Literatur und Film der 1990er und 2000 Jahre; rebellisch mit angeeigneten Positivitäten wie Sprachkompetenz und selbstbewusstem Auftritt im öffentlichen Raum. Auf diese Weise setzt sie die selbst erworbene kulturelle Kompetenz emanzipativ gegen die kulturelle Ohnmacht. Es ist heute überraschenderweise die dritte Generation, sprachkompetent und beruflich erfolgreich, die in der Literatur erneut das Motiv der Ohnmacht aufgreift, allerdings ohne Auswege aufzuzeigen. Die These des Beitrags ist, dass an die Stelle emanzipativer Dynamiken in der aktuellen Migrationsliteratur ressentimentale getreten sind. Sie sind die Grundlage, warum Identität sich nicht mehr aus Aneignungen und Positivitäten konstituiert, sondern aus Negativem und aus Diskriminierungswahrnehmungen.
Ezli, Özkan | Professur für Sozialwissenschaftliche Erforschung des Islam im Europa des 20. und 21. Jahrhunderts (Prof. Tezcan) |